Vom Datenverwalter zum strategischen Partner in Sachen Patientensteuerung und Erlössicherung
Das Gesundheitswesen in Deutschland befindet sich seit der DRG-Einführung im Jahre 2004 in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Getrieben durch kontinuierliche Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen, dem Fachkräftemangel und einem zunehmenden ökonomischen Druck – nicht zuletzt durch die Ambulantisierung –, wächst die Bedeutung effizienter und transparenter Prozesse in der klinischen Leistungserbringung. Dies gilt sowohl für die stationäre als auch für die ambulante Behandlung im Krankenhaus.
In diesem Spannungsfeld hat sich das Medizincontrolling als zentrales Bindeglied zwischen den klinischen Leistungserbringern und der Klinikverwaltung etabliert und managt zentrale Bereiche der Erlössicherung in den Kliniken. Was einst mit der DRG-Kodierung als administrative Notwendigkeit begann, entwickelt sich zunehmend zu einem strategischen Steuerungsinstrument – mit wachsender Relevanz für die Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit der Krankenhäuser. Diese Transformation ist eng verknüpft mit den durch das DRG-System gesetzten Anforderungen an Dokumentation, Leistungsdarstellung und Kodierung, aber auch mit der zunehmenden Digitalisierung der klinischen Prozesse. Der folgende Beitrag zeichnet die Entwicklungslinien des operativen Medizincontrollings nach und entwickelt ein neues Verständnis, bei dem die Patientensteuerung im Mittelpunkt steht und vor allem auch die ambulante Erlössicherung in Krankenhäusern berücksichtigt werden muss.
Die Anfänge: Medizincontrolling im DRG-System
Mit der Einführung des DRG-Systems im Jahr 2003 entstanden an nahezu allen Kliniken neuartige Abteilungen für „Medizincontrolling“, die fortan die Aufgabe übernahmen, die stationär erbrachten und dokumentierten medizinischen Leistungen mittels ICD- und OPS-Schlüsseln zu kodieren, um eine möglichst sachgerechte Leistungsabbildung und Erlösfindung zu ermöglichen.
In den Anfangsjahren war die Tätigkeit des operativen Medizincontrollings dabei stark retrospektiv ausgerichtet. Die Kodierung der Diagnosen und Prozeduren erfolgte nach der Entlassung des Patienten – oft mit nicht unerheblichem zeitlichen Abstand, da die damals noch papiergebundenen Patientenakten in der Regel erst mit Verzögerung das operative Medizincontrolling erreichten. Dessen Struktur war überwiegend zentralisiert und eine direkte Kommunikation mit den Leistungserbringern war eher selten. Die Rolle des operativen Medizincontrollings war primär administrativ geprägt und kaum in klinische Entscheidungsprozesse eingebunden, wodurch Potenziale zur Prozessoptimierung und zur frühzeitigen Erlössicherung häufig ungenutzt blieben.
Wandel durch Digitalisierung: fallbegleitende Dokumentation und Kodierung
Mit zunehmender Digitalisierung begannen sich die Aufgaben und Prozesse des operativen Medizincontrollings in den Folgejahren zu verändern. Durch eine frühere Dokumentation, z. B. der OPS-Kodierung im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Operation, wurde es möglich, bereits während des stationären Aufenthalts des Patienten auf Dokumentations- und Kodierungsprozesse Einfluss zu nehmen.
In vielen Kliniken wurde die sogenannte fallbegleitende Kodierung zum neuen Standard. Hierdurch wurde es möglich, die ärztliche und nicht-ärztliche Dokumentation mit den Anforderungen an die Kodierung in Einklang zu bringen. Zudem reagierten Kliniken auf veränderte Prüfmechanismen der Kostenträger und des Medizinischen Dienstes. Vor allem Fragen der primären und sekundären Fehlbelegung rückten in den Fokus. Um möglichen Erlösausfällen und Rückforderungen vorzubeugen, wurde für viele Kliniken eine frühzeitige Kodierbegleitung unerlässlich. Damit verlagerte sich die Tätigkeit des operativen Medizincontrollings zunehmend in die laufende Behandlung des Patienten. Viele Kodierfachkräfte arbeiteten wieder dezentral in der Nähe der Stationen und es etablierte sich in vielen Fällen eine direkte Kommunikation mit dem ärztlichen und nicht-ärztlichen Personal.
Das operative Medizincontrolling wurde damit zum interdisziplinären Partner und die Aufgaben verlagerten sich vom nachgelagerten Datenverwalter zum prozessbegleitenden Berater in Sachen Dokumentation und Erlössicherung – mit wachsender Bedeutung für die Steuerung klinischer Abläufe und die Optimierung der Ressourcenallokation im Versorgungsalltag.
Aktuelle Veränderungen: Ambulantisierung im Krankenhaus
Aktuell verschwimmt für viele Leistungsbereiche die klassische Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung. Mit der Einführung der Hybrid-DRGs und der erheblichen Umgestaltung des ambulanten Operierens im Krankenhaus gemäß §115b SGB V im Jahre 2024 wird ein zusätzlicher Bedarf zur effizienten Patientensteuerung spürbar.
In vielen Fällen sollte bereits in der Indikationssprechstunde anhand medizinischer, sozialer und ökonomischer Aspekte die Art der Leistungserbringung weitgehend festgelegt werden. Hierbei sind eine Reihe von Fragen zu beantworten: Welche Form der Abrechnung ist zulässig, wirtschaftlich und patientengerecht? Bleibt der Patient stationär über mehrere Tage, wird der Patient über eine Hybrid-DRG vergütet? Wenn ja, wird die Entlassung aller Voraussicht nach noch am gleichen Tag oder erst am Folgetag möglich sein? Sofern keine Hybrid-DRG erreicht wird, kann die Behandlung als AOP-Eingriff erfolgen und auch abgerechnet werden? Wenn nein, welche Möglichkeit der Abrechnung bleibt dann übrig?
Hier bedarf es eines Lotsen. Noch vor der Planung des konkreten OP-Termins sind in der Indikationssprechstunde unter Berücksichtigung des geplanten Eingriffs, der Komorbiditäten und möglicherweise vorhandener Kontextfaktoren des Patienten eine Kodiersimulation durchzuführen und eine Abrechnungsempfehlung zu erstellen. Dabei müssen selbstverständlich auch die entstehenden Sachkosten, wie z. B. für Osteosynthesematerialien, in die Überlegungen eingeschlossen werden, sodass die Ärztinnen und Ärzte auf einer fundierten Grundlage die weiteren Entscheidungen hinsichtlich der Art der Leistungserbringung treffen können.
Wer kann diese Lotsenfunktion an der Seite der Ärztinnen und Ärzte einnehmen? Die Mitarbeitenden des operativen Medizincontrollings haben hierfür die besten Kompetenzen, daher wird die Beratung der Ärzteschaft bezüglich der Auswahl der effizientesten Behandlungsform zunehmend zum wichtigen Steuerungsinstrument durch das operative Medizincontrolling. Dadurch wird das operative Medizincontrolling zum Taktgeber einer vorausschauenden Patientensteuerung. Dies erfordert neue Kompetenzen, standardisierte Prozesse und vernetzte IT-Systeme, die eine zeitnahe Bereitstellung relevanter Informationen sowie eine dynamische Anpassung an sich regelmäßig ändernde Rahmenbedingungen ermöglichen.
Geballte Kompetenz: operatives Medizincontrolling und ambulante Abrechnung
In vielen Kliniken sind die stationäre und ambulante Abrechnung historisch getrennt organisiert. Berührungspunkte bestehen meist nur im Ausnahmefall, etwa bei Umwandlung stationärer in ambulante Fälle aufgrund von Gutachten des Medizinischen Dienstes. Diese Trennung führt jedoch mittlerweile häufig zu ineffizienten Abläufen.
Vor dem Hintergrund wachsender regulatorischer Anforderungen, komplexer werdender Versorgungsmodelle (z. B. Hybrid-DRGs, AOP-Katalog) und steigender wirtschaftlicher Herausforderungen wird deutlich: Die Zusammenführung der ambulanten Abrechnung in das operative Medizincontrolling sollte in vielen Kliniken als ein notwendiger Entwicklungsschritt geprüft werden.
Diese gebündelte Kompetenz vereint medizinisch-inhaltliches Wissen, Kodier-Know-how und abrechnungstechnisches Verständnis in einer zentralen Einheit. So lassen sich stationäre, hybrid- und AOP-Leistungen aus einer Hand beurteilen, frühzeitig korrekt dokumentieren und effizient abrechnen. Zugleich wird das operative Medizincontrolling gestärkt in seiner Rolle als „Lotse“ zwischen medizinischer Versorgung, Kodierung und Abrechnung. Nur mit direktem Zugriff auf alle relevanten Prozesse kann diese Steuerungsfunktion wirksam wahrgenommen werden.
Fazit: Operatives Medizincontrolling als Steuerungsinstanz der Zukunft
Die Entwicklung des operativen Medizincontrollings ist ein Spiegelbild der strukturellen Transformation im Krankenhauswesen. Was einst als rein administrative Kodieraufgabe im Nachgang zur Patientenversorgung begann, hat sich zu einer strategischen Schnittstelle zwischen Klinik und Verwaltung entwickelt.
Mit dem Fortschreiten der Ambulantisierung, der Einführung der Hybrid-DRGs und der wachsenden Differenzierung der Abrechnungsformen steigt die Notwendigkeit und die Komplexität der Versorgungssteuerung erheblich. Umso entscheidender ist eine frühzeitige, interdisziplinär abgestimmte Planung des Versorgungsprozesses – idealerweise bereits in der Indikationssprechstunde. Denn dort sollte festgelegt werden, welche Behandlungsform medizinisch sinnvoll, dokumentatorisch korrekt und ökonomisch tragfähig ist. Dabei gilt als Leitprinzip: Die Ärztin oder der Arzt soll diejenige Behandlungsform durchführen können, die den bestmöglichen Behandlungserfolg für den Patienten gewährleistet.
Um dies zu ermöglichen, braucht es eine kompetente Lotsenfunktion – idealerweise durch das operative Medizincontrolling, das die klinischen Entscheidungsprozesse beratend flankiert und abrechnungstechnisch absichert. Gleichzeitig steht das Medizincontrolling vor massiven Herausforderungen: Fachkräftemangel bei Kodierfachkräften, heterogene IT-Systeme innerhalb des Krankenhauses, komplexe gesetzliche Rahmenbedingungen sowie ein hoher Schulungsbedarf bei klinischem Personal erschweren die tägliche Arbeit.
Die Antwort darauf sollte z. B. im Ausbau digitaler Kodier- und Dokumentationstools und der frühzeitigen Einbindung des operativen Medizincontrollings in die Patientensteuerung liegen. Die Zukunft des operativen Medizincontrollings liegt in der Verbindung von medizinischem Wissen, digitaler Kompetenz und ökonomischem Denken – als unverzichtbare Steuerungsinstanz in einer modernen, zunehmend ambulant geprägten Kliniklandschaft.