Zeitenwende in der Krankenhausplanung

Auswirkungen des Leistungsgruppen-Groupers des InEK

Ab 2027 dürfen stationäre Leistungen nur noch von Einrichtungen erbracht werden, denen die jeweilige Leistungsgruppe im Rahmen der Landeskrankenhausplanung zugewiesen wurde. Mit der Zertifizierung des LG-Groupers Version 1.0 am 5. Februar 2025 hat das InEK das zentrale Werkzeug zur Umsetzung der Krankenhausstrukturreform bereitgestellt. Der Grouper weist stationäre Behandlungsfälle einer der bundesweit normierten Leistungsgruppen (LG) zu, wobei nicht alle der in der Anlage 1 SGB V definierten LG derzeit erreicht werden. Auch wenn die aktuell vorliegende Version des LG-Groupers vom InEK selbst als nicht praxistauglich beschrieben wird, so existiert für die Krankenhäuser derzeit keine andere Grundlage für die Einschätzung der eigenen Leistungen und die Beurteilung der in vielen Bundesländern noch unterjährig erforderlichen Antragstellung.

Von der DRG zur Leistungsgruppe

Die Zuweisung einer LG erfolgt durch die für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörden – jedoch nur, wenn die vom BMG definierten Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehören u. a. personelle Mindestausstattung, technische Infrastruktur, Mindestfallzahlen und ggf. Kooperationen in Leistungsbereichen, die in der eigenen Klinik nicht erbracht werden bzw. für die die entsprechende LG nicht erreicht wurde.

Zukünftig werden gemäß KHVVG aber nicht nur die gesetzlich vorgegebenen Qualitätsanforderungen eine Rolle spielen, sondern auch sogenannte Mindestvorhaltefallzahlen. Diese sollen sicherstellen, dass Kliniken eine definierte Leistungsgruppe nicht nur punktuell, sondern dauerhaft und strukturiert erbringen. Diesbezügliche Rechtsverordnungen sind angekündigt, liegen derzeit aber noch nicht vor.

Kooperation als Lösung – aber nicht ohne Aufwand

Ein Kernbereich der Qualitätsanforderungen für die Zuteilung einer Leistungsgruppe liegt in der geforderten Vorhaltung weiterer LGs. Neben den ausnahmslos am eigenen Standort vorzuhaltenden Leistungen dürfen in vielen Fällen die zusätzlichen Anforderungen auch in Kooperation mit anderen Kliniken erfüllt werden. Kooperationen müssen dabei formal belegt, organisatorisch abgestimmt und medizinisch nachvollziehbar sein – was in der Praxis häufig erheblichen Aufwand erfordert. Gerade in der derzeitig unsicheren Lage kann es dazu kommen, dass der vermeintliche Kooperationspartner am Ende bei der planerischen LG-Zuweisung der relevanten LG leer ausgeht und die Kooperation nicht zustande kommen kann.

Fahrzeitenregelung: Theorie und Realität

Bei ausschließlicher Berücksichtigung der Kriterien gemäß Anlage 1 SGB V würde es in vielen Fällen gerade im ländlichen Bereich zur für Patienten nicht tragbaren Ausdünnung des Leistungsangebotes kommen. Hierfür sind gesetzliche Maximalfahrtzeiten für die Erreichung von Krankenhäusern mit bestimmten LG definiert worden. Erste Tests mit Routing-Software zeigen, dass sich je nach Verkehrsaufkommen die gesetzlichen Vorgaben real kaum umsetzen lassen. Zudem stellt sich die Frage z. B. auch nach der medizinischen Rationalen, wenn eine Allgemeine Chirurgie in maximal 30 Minuten erreichbar sein muss, ein Schlaganfallpatient aber 40 Minuten zur nächsten Neurologie akzeptieren soll.

Die Notfallaufnahme als Unsicherheitsfaktor

Laut § 8 Abs. 4 KHEntgG dürfen Krankenhäuser auch ohne LG-Zuweisung Leistungen im Notfall erbringen. Was genau ein Notfall ist, bleibt dabei jedoch unklar. Für alle Beteiligten bedeutet dies eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Auch ist nicht davon auszugehen, dass eine Klinik ohne die Möglichkeit der Abrechnung der LG Interventionelle Kardiologie das Herzkatheterlabor personell und infrastrukturell für Notfälle vorhalten kann und will, da sich eine Finanzierung gerade auch teurer Medizintechnik allein aus der Notfallbehandlung voraussichtlich nicht tragen wird.

Leistungsgruppenlogik in der Praxis – differenziert, aber komplex

Erste Analysen zeigen: Die LG-Zuordnung verläuft oft anders als die DRG-Gruppierung. So können Fälle mit endovaskulären Eingriffen trotz medizinischer Komplexität der Allgemeinen Chirurgie zugewiesen werden – je nachdem, welche OPS-Kodes oder Fachabteilungsschlüssel verwendet wurden. In anderen Fällen erfolgt eine Umverteilung zwischen konkurrierenden LGs durch die interne Hierarchisierung des Groupers.

Fraktur oder keine Fraktur – die Tücken der LG023

Die Leistungsgruppe LG023 „Spezielle Endoprothetik“ ist konzipiert zur Abbildung elektiver Gelenkersatzoperationen am Hüftgelenk. Die Definitionslogik des LG-Groupers führt in der Praxis zu einer Ausgrenzung von Fraktur-Fällen. Sinnvoll ist dies, um Kliniken ohne die Zuweisung dieser LG nicht die akute Versorgung hüftgelenknaher Frakturen mittels TEP zu untersagen. Allerdings reicht in der aktuellen Logik der LG023 bereits die Kodierung einer Frakturdiagnose als Nebendiagnose, z. B. S72.0 (Fraktur des Schenkelhalses), aus, um die Fallzuordnung aus der LG023 in die Allgemeine Chirurgie umzulenken.

Selbst dann, wenn der primäre Eingriff einer elektiven Endoprothese auf der Indikation einer Arthrose stattfindet, dann aber eine Fraktur intraoperativ auftritt, verliert der Fall seine Zuordnung zur LG023. Die Zuteilungslogik des Groupers priorisiert Fraktur-Kodes, unabhängig davon, ob sie als Haupt- oder Nebendiagnose geführt werden. Diese Fälle gelangen weitgehend in die LG Allgemeine Chirurgie. Da die LG Allgemeine Chirurgie im Zuordnungsalgorithmus weit nachrangig hinter vielen anderen LGs einsortiert ist, können zusätzliche OPS-Kodes dann zu weiterer Umleitung dieser Fälle, z. B. auch in die LG Palliativmedizin, führen.

Betroffen sind nicht selten auch pathologische Frakturen. Diese sind eben nicht grundsätzlich mit einem OPS-Kode z. B. aus S72 (Fraktur des Femurs) zu verschlüsseln, sondern hier ist die Kombination z. B. aus einem ICD-Kode für die Knochenmetastase mit der Sekundärdiagnose M90.75 (Knochenfraktur bei Neubildungen: Beckenregion u. Oberschenkel) zu kodieren. Auch hier gilt, dass, während der S-Kode zwangsläufig nicht in die LG023 für die Hüftgelenksendoprothetik führt, die Kodierung ohne Trauma-Kode den Fall in der LG023 abbildet.

Die kritische Rolle des Fachabteilungsschlüssels – Beispiel Pneumologie

Die Leistungsgruppe LG006F „Komplexe Pneumologie“ ist ein Beispiel dafür, wie sich die Zuordnungslogik des LG-Groupers mit strategischen Strukturentscheidungen einer Klinik überschneiden kann und dabei zu paradoxen Effekten führt. Kernproblem ist die Bindung der LG006F an einen spezifischen § 301-Schlüssel für die Pneumologie. Nur wenn die längste Verweildauer auf einer pneumologischen Fachabteilung mit dem zugehörigen Schlüssel (z. B. 0800) dokumentiert ist, erfolgt die Zuordnung zur LG006F. Erfolgt die Behandlung hingegen auf einer pneumologischen Station, die unter § 301-Schlüssel der Inneren Medizin (0100) organisiert ist, werden die Fälle automatisch der LG Allgemeine Innere Medizin zugewiesen. Eine Ausnahme stellen Fälle mit sehr komplexen Leistungen dar, die unabhängig vom FA-Schlüssel dann in die LG006 (nicht LG006F) führen.

Das stellt Kliniken vielfach vor ein Dilemma:

  • Mit eigenem Fachabteilungsschlüssel: Beantragt eine Klinik den pneumologischen § 301-Schlüssel, erreicht sie die LG006F – aber nur, wenn diese LG vom Land tatsächlich zugewiesen wird. Erfolgt keine Zuweisung, dürfen die Leistungen ab 2027 nicht mehr erbracht werden, selbst wenn die Struktur vorhanden ist.
  • Ohne eigenen Fachabteilungsschlüssel: Verzichtet eine Klinik auf den pneumologischen Fachabteilungsschlüssel, werden die Leistungen weiterhin der LG Allgemeine Innere Medizin zugeordnet und es ergibt sich ggf. zukünftig eine geringere Vorhaltefinanzierung als in der spezifischeren LG.

Besonders problematisch ist dabei, dass ein einmal beantragter § 301-Schlüssel strukturell „sichtbar“ ist und die LG-Zuweisung damit bindend wird. Kliniken sollten daher bereits vor der Beantragung von Leistungsgruppen sehr genau prüfen, ob sie einen differenzierten FA-Schlüssel für die Pneumologie, Gastroenterologie, Nephrologie o. ä. bewerben. Ein zusätzlicher Aspekt ist zu beachten, wenn der differenzierte FA-Schlüssel z. B. der Nephrologie dann eine externe Kooperation z. B. bei der LG Komplexe periphere arterielle Gefäße verhindern könnte. Hier ist abzuwägen, welche Risiken letztlich geringer erscheinen.

Fazit: Strategisch steuern trotz Unsicherheit

Der LG-Grouper ist kein reines IT-Werkzeug, sondern das Fundament einer neuen Krankenhauslogik. Er ersetzt bisherige Planungssysteme durch ein struktur- und qualitätsbasiertes Modell mit nationaler Einheitlichkeit. Für Krankenhäuser bedeutet das: frühzeitig analysieren, gezielt optimieren und strategisch kommunizieren – auch wenn rechtliche und methodische Rahmenbedingungen noch nicht vollständig klar sind. Kliniken sollten bereits jetzt aktiv werden:

  • Leistungsportfolio analysieren: Identifizieren Sie, wie Ihre bisherigen Fälle nach der neuen Systematik des LG-Groupers zugeordnet werden. Wo es keine eindeutige Zuweisung gibt, droht der Ausschluss von Leistungen.
  • Kodierung überprüfen: OPS- und ICD-Codes müssen möglichst spezifisch dokumentiert werden. Allgemeine oder unspezifische Kodes führen zur Zuweisung in allgemeine Leistungsgruppen – mit Einschränkungen bei der Leistungszulassung.
  • Fachabteilungsstruktur anpassen: Einige Leistungsgruppen (z. B. Pneumologie, Nephrologie) setzen spezielle Fachabteilungsschlüssel voraus. Wo diese fehlen, erfolgt keine oder nur eine eingeschränkte LG-Zuweisung. Hier müssen Chancen und Risiken abgewogen und ggf. eine differenzierte FA-Struktur etabliert werden.
  • Kooperationen vorbereiten: Die Erfüllung von Qualitätskriterien ist häufig nur in Zusammenarbeit mit anderen Häusern möglich. Solche Kooperationen müssen frühzeitig organisiert und vertraglich gesichert werden.
  • Strategischer Dialog mit Landesbehörden: Die Entscheidung über LG-Zuweisungen liegt bei den Ländern. Eine aktive Kommunikation über Leistungsfähigkeit und geplante Entwicklung ist essenziell.